Dienstag, 31. Januar 2012

Weltwoche-Interview mit Kachelmann

Die Weltwoche ist bekannt für ihre guten Interviews und Artikel zu antifeministischen und männerrechtlerischen Themen. Ein weiteres Beispiel für diese lange Reihe von guten Artikeln ist dieser hier, welcher ein Interview mit Kachelmann beinhaltet, in dem er schonungslos darlegt, wie systematisch die deutsche Justiz die Unschuldsvermutung über Bord kippte und zu Gunsten eines feministischen Zeitgeistes unbedingt einen Schuldspruch herbeiführen wollte (wir haben bereits gesehen, dass dies nicht nur in Europa weit verbreitet ist). Ausserdem gab er in diesem Interview bekannt, dass er eine Stiftung für falschbeschuldigte Männer gründen wolle.

Wieder einmal gilt: Wer mehr solche Artikel möchte, der sollte sich unbedingt die Weltwoche kaufen oder am besten gleich abonnieren!

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Herr Kachelmann, wir treffen uns hier an einem Ort im Grünen in Frankreich. Wie geht es Ihnen, wie ist die Lage?

Das ist jetzt also die von meinem Verteidiger Schwenn befürchtete Standard-Frage für berechenbare Journis (Lacht): «Warum tritt Herr Kachelmann nicht vor die Presse? Damit Sie ihn fragen, wie es ihm geht?»

Wie lautet die Antwort nach dem Freispruch?

Es ist ja noch nicht vorbei. Wenn eine ­gros­se Belastung verschwindet, fällt man zuerst in ein Loch. Vielleicht ist es gar noch nicht richtig angekommen, dass die erste Runde vorbei ist. Noch ist der Fall nicht abgeschlossen.

Sie haben im Interview mit der Zeit angedroht, Sie würden Ihre Peiniger zur Rechenschaft ziehen. Beginnt jetzt der ­gros­se «Rachefeldzug», wie die Bild-Zeitung titelte?

Das Raunen des Boulevards ist verfehlt. Ich drohe auch nicht, es geht mir um Recht und Gerechtigkeit, vor allem auch darum, andere Männer vor Nachahmungstaten zu schützen, die es sicher schon gibt und von denen es mehr geben wird, wenn den Falschbeschuldigerinnen und Lügnerinnen vor Gericht nichts passiert. Rache und Vergeltung aus Hass hat die Frau geübt, die mich zu Unrecht beschuldigte.

Was haben Sie vor?

Ich werde alles unternehmen, was meinen Anwälten einfällt. Es muss alles korrigiert werden, was jetzt noch herumschwirrt nach den Unterstellungen der Mannheimer Staatsanwaltschaft. Es wurde behauptet, ich würde zur Gewalt neigen, zu «Grenzüberschreitungen», «Grenzerkundungen», all dieser Hafechäs. Ich werde nicht ruhen, bis dieser Quatsch aus der Welt geschafft ist. Es hat keine «Grenzüberschreitungen» gegeben, keine «Grenz­erkundungen», es hat keine Gewalt gegeben in meinem Leben. In keiner Form. Solange diese Verleumdungen im Raum stehen, ist es für mich nicht vorbei.

Spricht hier ein Schwerverletzter, der es allen heimzahlen möchte?

Quatsch. Als Knastbruder und Falschbeschuldigter vor Gericht war ich wehrlos. Man konnte mir alles anhängen. Mir ­wurde eine frei erfundene, Gott sei Dank katastrophal schlecht erfundene Vergewaltigung angedichtet. Da tauchten Ex-Freundinnen und sogar angebliche Ex-Freundinnen auf, die für das Geld des Boulevard-Verlegers Hubert Burda Mist erzählten über mich. Ich musste schweigen, meine Verteidiger mussten sich für mich vor Gericht gegen unhaltbare Vorwürfe wehren. Jetzt schalte ich um, von Defensive auf Angriff. Ich werde gegen alle vorgehen, die ­Lügen über mich verbreitet haben. Nicht mit Wut oder Verbitterung, sondern mit angemessener Entspannung und schweizerischer Gründlichkeit und Ausdauer.

Warum lassen Sie die ganze Sache nicht auf sich beruhen?

Es ist das Recht und es ist die Pflicht eines jeden zu Unrecht Beschuldigten. Die heuchlerischen Aufrufe der Medien, dass ich nun doch aus taktischen Gründen demütigst zu schweigen und zu verschwinden hätte, sind der Versuch, deren menschenverachtende Vorverurteilung möglichst schnell vergessen zu machen. Nun wollen gerade die mein Schweigen, die sich vorher als die willfährigsten Sprachrohre der lügenden Staatsanwaltschaft Mannheim geriert haben: Springer, Burda, Stern, Süddeutsche. Während des Prozesses sehnt man sich den Moment des Freispruchs herbei und glaubt, es würden Zentnerlasten von einem abfallen. Heute muss ich sagen: Der Kampf fängt erst an.

Was überwiegt: die Erleichterung über den Freispruch oder der Ärger, zu Unrecht hinter Gittern gesessen zu haben?

Die Gefängniszeit war schlimm, eine Kata­strophe für meine Angehörigen und meine Firma, aber auch erkenntnisreich. Ich habe da viel gelernt über mich, die Welt und die deutsche Justiz.

Was war die wichtigste Erkenntnis?

Ich kam zum Schluss, dass es vielleicht einen Sinn hat, dass ausgerechnet ich Opfer einer Falschanzeige wurde. Ich habe eine gewisse Bekanntheit. Über meinen Fall wird geredet. Ich möchte mich jetzt dafür einsetzen, dass so etwas nicht mehr so oft passieren kann. Der Vergewaltigungsvorwurf ist dank einer pervertierten Justiz zum nützlichen Instrument geworden, mit dem Frauen ungestraft Männer loswerden können. Wenn ich einen Beitrag leisten kann, dass dies in Zukunft schwieriger wird, war der Prozess keine verschwendete Zeit.

Wie gross ist heute Ihr Hass auf die Verur­sacherin der Anklage?

Ich habe keinen Hass gegen die Nebenklägerin. Früher oder später werden sich die Gerichte mit ihr befassen. Viel schlimmer ist, dass der lächerliche Wahnsinn, den sie erzählte, dank der gütigen Mithilfe der Schwetzinger Polizei, deren Zustand jeden braven Bürger einen grossen Bogen um diesen Ort machen lassen muss, und der Staatsanwälte Gattner, Oltrogge, Grossmann und Mägerle in Mannheim, die meines Erachtens eine Gefahr für den Rechtsstaat sind, überhaupt zum Strafverfahren aufgeblasen wurde. Diese Staatsbediensteten haben den verzweifelten Racheakt einer Frau zur Profilierung missbraucht.

Welche Erinnerungen haben Sie an den Tag Ihrer Verhaftung?

Ich kam aus Kanada zurück, die Olympischen Spiele waren vorbei. Ich ging am Frankfurter Flughafen mit Miriam (dama­lige Freundin, heutige Ehefrau, Anm. d. Red.) zum Auto, das im Parkhaus des Flughafens stand. Dann wurde ich von Polizeibeamten festgenommen. Man gab mir ein dunkelrosa­rotes Papier, den Haftbefehl. Ich las das durch, und ich ahnte, dass sich mein Leben wohl für eine Weile fundamental ändern würde.

Was ging in Ihnen vor, als Sie das rosarote Blatt gelesen hatten?

Ich fing nicht an zu weinen oder auszurufen. Hier begannen übrigens schon die Lügen der Polizei. Zuerst sagten die Polizisten, ich sei bei der Verhaftung komplett überrascht und schockiert gewesen. Dann merkten sie wohl, dass das die falsche Botschaft sein könnte, und logen dann zunächst bis auf ­einen übereinstimmend vor Gericht, ich sei komplett cool und relaxed gewesen. In Wirklichkeit war ich geschockt. Ich habe später aus verschiedenen Quellen gelernt, dass es zumindest im Bereich der Po­li­zei­direktion Heidelberg nicht unüblich ist, dass Polizisten vor Gericht lügen.

Was folgte nach dem Abschied von Ihrer Freundin im Parkhaus?

Es gibt den Begriff Haftschock. Etwas in der Art erlebte ich. Ich wurde fotografiert, sah in Frankfurt die Haftrichterin, dann wurde ich in Handschellen nach Mannheim gefahren. Dort kam die erste Nacht in einer versifften, verschissenen und verkakerlakten Zelle. Die Behörden behaupteten später mit einem Seitenhieb an mich, jeder Häftling sei selber verantwortlich für die Sauberkeit. Das gilt schon, aber erst für die Zelle, die man nachher bekommt, aber nicht für die Zelle der ersten Nacht.

Glaubten Sie damals an eine baldige Entlassung?

Ich hatte gehofft, dass die Befriedigung, mich überhaupt unschuldig in den Knast befördert zu haben, der Klägerin reichen würde. Ich hoffte, dass die mich demütigenden Zeitungsberichte Genugtuung genug sein könnten. Aber mit jedem weiteren Tag wurde mir klar, dass ihr das nicht reichte und dass sie ihre Lüge durchziehen würde. Ich versuchte, mich an den Gefängnisalltag zu gewöhnen.

Wie wurden Sie von den Aufsehern behandelt?

Es gab zwei Ebenen. Nicht alle deutschen Polizisten und Staatsanwälte sind generell vom Rechtsstaat entfernt. Ich habe eine grobe Faustregel entwickelt: Alle, die unter 1900 Euro netto pro Monat verdienen, sind Menschen. Ein erheblicher Teil der­jenigen, die mehr verdienen, haben möglicherweise nur ein Menschenkostüm. Die Stockwerksbeamten waren fast durchweg gute Leute, die versucht haben, ein unmenschliches System menschlich zu gestalten.

Was war der schlimmste Moment der Anfangszeit?

Der schlimmste Moment war, als Staats­anwalt Oltrogge am 24. März mit seinem Knabensopran seine Vorverurteilung aussprach: «Aus aussagepsychologischen Gründen glaube ich der Nebenklägerin.» In diesem Moment wusste ich: Ich hatte einen Ort betreten, an dem es keine Hoffnung gibt. Es war niederschmetternd. Es war eine so schlecht zusammengelogene, zusammengeschusterte Anschuldigung, die hier gegen mich erhoben wurde. Schon damals wussten alle, dass die Klägerin ihre Geschichte immer wieder anders erzählte. Aber die Polizisten und die Beamten hatten eine riesige Freude, dass ihnen für Schwetzinger Verhältnisse ein Promi ins Netz gegangen war. Ein Schwetzinger Polizist brachte sogar seine grinsende Tochter mit zur Verhaftung. Für die war es ein unvergesslicher Pfadi-Event, dass sie mich verhaftet hatten. Drei Wochen, erzählten sie mir, habe die Haftvorbereitung gedauert. Die Kriminalaussenstelle Schwetzingen war ausser sich vor Freude.

Ihr erster öffentlicher Auftritt zeigte Sie lächelnd beim Gang zum Gefängniswagen. Das Bild war überall zu sehen. Warum haben Sie gelächelt?

Nur kurz, vielleicht, weil mich das Theater amüsiert hat. Ich habe mir keine Gedanken gemacht, ob ich lächeln solle. Die Polizisten liessen mir keine Wahl, ich musste da durch. Man hätte mich auch unbemerkt ins Gefängnis fahren können, aber die wollten halt so gern einen Verbrecher aus mir machen. Die Behauptung von einigen Medien und sogar Staatsbeamten, dieser «Auftritt» sei mit den Behörden abgesprochen gewesen und sogar von mir gewünscht, ist falsch. Man liess mir lediglich die Wahl, mein Gesicht mit einer Akte zu verdecken oder nicht, und ich konnte wenigstens durchsetzen, ­ohne Handschellen zu bleiben.

Wie war die erste Nacht in der Kakerlaken-Zelle?

Es gibt einen Spruch unter deutschen Juristen: «U-Haft schafft Rechtskraft». Ich ­glaube tatsächlich, es ist das Ziel der U-Haft, die Menschen zu brechen. Sie zielt nicht auf physische, aber auf psychische Vernichtung, auch wenn wieder das Gejaule in den ­Medien losgehen wird wegen dieser Feststellung. Im Gegensatz zu den Journalisten in ihren Redaktionsstuben war ich über vier Monate im Knast und kann es beurteilen. Und die ­psychische Vernichtung hat nicht mich getroffen, sondern viele andere. Die meisten Selbstmorde in deutschen Gefängnissen kommen nicht in die Medien.

Sind Sie gebrochen worden?

Nein. Ich habe mich jeden Tag stärker gefühlt. Ich war nicht in der Schweizer Armee, um mich von durchgeknallten deutschen Staatsanwälten fertigmachen zu lassen.

Wer war Ihre intensivste Bezugsperson während der Untersuchungshaft?

Mein Mitreiniger auf dem Zellenstock. Ich war einer von zwei Putzern, die für die Reinigung des Stocks zuständig waren.

Was sagte Ihre achtzigjährige Mutter, die in der Schweiz lebt?

Die Mutter war traurig und wütend, nicht auf mich, sondern auf die Klägerin, der sie kein Wort glaubte. Meine Mutter hat mich zweimal besucht. Wir haben versucht, es eher klein zu halten. Das ging allen Gefangenen so. Einerseits freut man sich, aber anderseits ist es eine grosse Belastung. Denn die Besuche geben eher den Besuchern Kraft, nicht aber den Gefangenen, die sind nach den Besuchen meistens fix und fertig. Der Besuch ist eine Art Fenster nach draussen, und man sieht dann, was man alles verliert, was man nicht hat. Es ist einfacher, wenn man in der Kiste bleibt und sich auf seine Aufgaben konzentriert. Meine Mutter und andere Angehörige haben viel Kraft geschöpft aus den Unterstützerforen — Facebook, Frau Neeser, Elsenfalle und den satirischen Nachrichten aus Neubrandenburg. Da gab’s oft mehr Fakten als in den meisten Zeitungen. Wir haben die Foren allerdings nie selbst organisiert oder aktiv unterstützt. Das wäre unangemessen gewesen. Gattner und Oltrogge sind nicht Deutschland.

Was haben Sie den ganzen Tag gemacht?

Man muss unterscheiden zwischen Reiniger und Nichtreiniger. Ich hatte das Glück, nicht das Privileg, wie es in Zeitungen hiess, dass ich einer von zwei Reinigern auf meinem Stock sein durfte. Die Reiniger heissen Schänzer, weil «Reiniger» zu schwul klinge, wie es in der derben Knastsprache hiess. Als ich in den dritten Stock kam, wurde klar, dass einer der beiden Schänzer bald in ein anderes Gefängnis verlegt würde. Und der Stockwerksbeamte wollte einen, der Deutsch spricht, das schloss die meisten Häftlinge aus. Die deutschsprachigen Insassen, die schon länger im Knast waren, wollten nicht so früh aufstehen, so viel putzen, auch das Beamten-WC. Jeder ist für die Sauberkeit in seiner Zelle verantwortlich, aber wenn einer seine Zelle komplett vollkotet oder komplett verdreckt hinterlässt bei Entlassung oder Verlegung, dann mussten halt wir Schänzer die Zelle putzen. Sagen wir es so: Persönliche Hygiene ist nicht für jeden Menschen ein Selbstläufer, und wir haben das dann halt in Ordnung gebracht.

Wann standen Sie morgens auf?

Du stehst als Schänzer um halb sechs auf. Du machst um sechs Uhr mit dem Stockwerksbeamten die Postrunde und schaust, ob alle noch leben. Am Wochenende werden die Normalen, also die Nichtreiniger, um zwei Uhr eingeschlossen. Zwischen zwei Uhr nachmittags am Samstag und sieben Uhr am nächsten Sonntagmorgen schaut niemand nach. Da gibt es eine ­leichte Spannung, ob die alle noch leben, denn das merkt niemand, wenn sich in der Zwischenzeit einer ans Gitter hängt.

Wie sahen es Ihre Mithäftlinge? Waren Sie das Promi-Weichei, das man fertigmachte?

Es war schon lästig am Anfang, wenn sie zum Hofgang kamen und sagten: «Hu, noch mal eine, schon wieder eine andere Frau!» Ich sagte ihnen, dass ich es nicht besonders lustig finde, wenn man mir die News nacherzählt. Die Insassen hatten insgesamt ein gutes Gefühl dafür, wer etwas gemacht hat und wer nicht. Noch bevor Spiegel und Zeit mit ihren Recherchen kamen, sagten mir die Mithäftlinge: «Wir wissen, du warst das nicht.»

Da müssen Sie erleichtert gewesen sein.

Auf jeden Fall. Es ist sehr unangenehm, als angeblicher Vergewaltiger im Knast zu sitzen. Die unterste Schicht sind die «Kinderficker». Als mutmasslicher Pädophiler musst du aus Selbstschutz in der Zelle bleiben, selbst im Untersuchungsgefängnis. Die meisten, die wegen Pädophilie angeklagt wurden, behalten das aus Angst für sich. Es gibt natürlich Justizbeamte, die das raus­sickern lassen. Wenn das passiert, bist du nicht mehr sicher. Vergewaltiger sind die zweitunterste Schicht. Man lässt dich leben, aber niemand redet mit dir.

Kamen Sie bei Ihren Mitgefangenen gut an?

Ja, ich hatte insgesamt ein gutes Standing bei den Häftlingen. Als Schweizer wirkt man in Deutschland automatisch höflich und freundlich, man verwendet die Konjunktive wie «Könnten Sie mir» oder «bitte» und «danke». Da wir in der Schweiz 21 Prozent Ausländeranteil haben, sind wir nicht wahnsinnig überrascht und auch nicht traurig, wenn wir im Kontakt mit vielen Fremdsprachigen und anderen Kulturen sind. Bei der Essensausgabe war ich halt auch ein höflicher Schweizer. Ich kann heute auf ungezählte Sprachen «bitte», «danke» und «En Guete» sagen. Das wirkte ansteckend. Unser Haupt-Stockwerksbeamter und fast alle ­seine Stellvertreter waren echte Menschen, und wir entwickelten uns fast zum Musterstockwerk.

Sie waren mit mutmasslichen Mördern und Totschlägern zusammen. Was für ein Menschenschlag ist das?

Wir sind einander unabhängig von Tatvorwürfen auf Augenhöhe begegnet und haben einander geholfen. Ich bekam am Anfang Essbares von den erfahreneren Mitgefangenen. Ich habe andererseits versucht zu helfen, sei es beim Bruchrechnen mit einem mutmasslichen Mörder für dessen Hauptschulabschluss oder durch das Schreiben vieler Anträge für die Mitgefangenen, denn der Chef des Gefängnisses weigerte sich, ­eine andere Sprache als Deutsch zu reden und zu schreiben. Mit meinem Englisch, Französisch, Italienisch kam ich durch, auch bei den türkischen Kumpels. Es fand sich immer einer, der Bruchstücke einer dieser Sprachen konnte. Ich war Übersetzer und Helfer, was wiederum mir half, denn ich sah Leute, denen es noch beschissener ging als mir.

Wie warm oder kalt war es im Gefängnis?

Wir hatten im Sommer tagsüber Innentemperaturen von vierzig Grad, in der Nacht fiel das Thermometer nicht unter dreissig Grad. Ich habe zusätzlich morgens die Aussentemperatur am Gitter gemessen, die Werte gibt’s dann exklusiv in meinem Buch. Die Hitze ist unpraktisch, es gibt halt keine Kühlschränke, man muss alles immer sofort essen.

Sie sassen 132 Tage im Knast. Wie haben Sie sich motiviert, um nicht zu verzweifeln?

Mit der Zeit musste ich mit allem rechnen, aber ich hatte keine Panik. Mein erster Verteidiger, Reinhard Birkenstock, hat überlegt, eine Kaution anzubieten. Aber ich wollte nicht raus auf Kaution. Ich sagte ihm: «Ich gehe hier nur als freier Mensch.» Ich wollte der deutschen Gaga-Justiz zeigen: «Ihr macht mich nicht fertig.»

Kommen wir zu Ihrer Verteidigungsstrategie. Sie haben öffentlich fast nichts gesagt ausser: «Ich bin unschuldig.» Warum?

Was hätte ich denn sagen sollen zu einer Geschichte, die von hinten bis vorne frei erfunden war? Ich habe am Anfang eine ausführliche Aussage gemacht am 24. März. Da sagte ich, wie es zugegangen war. Mehr gab es nicht zu sagen.

Während der Haftzeit gab es eine sichtbare Veränderung Ihres Äusseren. Vom langhaarigen Holzfällerlook zur seriösen, rasierten Erscheinung. War das bewusst?

Fertiger Unsinn. Wenn du im Knast sitzt, hast du nichts. Du bekommst einen Einweg­rasierer. Vorher hatte ich einen Langhaarschneider, mit dem ich meinen Bart exakt rasieren konnte. Mit dem Einwegrasierer gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder langer Bart – oder kein Bart. Eine rein praktische Entscheidung: kein Bart. Die Frisur kam vom Knastcoiffeur.

Hat man Angst, wenn man schwer beschuldigt vor Gericht steht?

Ich hatte weder Angst noch Zuversicht. Die Erfahrung zeigte mir einfach: Vor diesem Gericht nützt dir auch komplette Unschuld nichts. Ich bin zutiefst überzeugt: Alle Polizisten, alle Staatsanwälte, der Anwalt der Falschbeschuldigerin und das Gericht wussten damals und wissen heute, dass ich zu hundert Prozent unschuldig bin. Sie wussten schon früh, dass die Falschbeschuldigerin lügt. Trotzdem ­wurde dieses Höllentheater durchgezogen.

Der Kachelmann-Prozess war einer der grössten öffentlichen Schauprozesse der jüngeren Zeit, und das wurde dadurch noch verschärft, dass irgendwann das Schaulaufen von zahlreichen angeblichen Ex-Geliebten vor Gericht und in den Medien begann. Mindestens vier Frauen wurden von den Illustrierten bezahlt, und wie sich später herausstellte, haben sie gegenüber der Polizei, gegenüber den Medien und gegenüber dem Gericht oft ganz andere Aussagen gemacht. Was war Ihr erster Gedanke, als die Frauen über ­ihre Beziehung zu Ihnen auspackten?

Ich wusste, dass das Gericht alles unternehmen würde, um mir eine Straftat anzuhängen, die ich nicht begangen hatte. Weil es keine Beweise gab, mussten die Richter mit anderen Methoden probieren, mich kaputtzumachen. Und es funktionierte, auch dank der gütigen Mithilfe der Me­dien nach dem Motto: «Kachelmann mag kein Vergewaltiger sein, aber er ist trotzdem ein Arschloch, und irgendwie haben solche auch Knast verdient.»

Haben die Aussagen der Ex-Freundinnen einen Beitrag zur Wahrheitsfindung geleistet?

Nein. Es ging auch nicht um Wahrheitsfindung. Die Staatsanwaltschaft ging nach der Methode vor: Wenn wir es ihm schon nicht nachweisen können, starten wir eine Rufmordkampagne, um ihn so kleinzukriegen.

Das klingt nach Verschwörungstheorie.

Sie müssen es doch realistisch sehen. Die Polizisten und Staatsanwälte, die bald merkten, dass nichts an den Anschuldigungen dran war, konnten doch nicht plötzlich aufhören und sagen: «Sorry, wir haben uns geirrt.» Nicht, nachdem sie mich unschuldig und übereilt verhaftet und den Medien zahlreiche Interviews gegeben hatten, in denen sie betonten, wie sehr sie von meiner Schuld überzeugt seien. Das hätte riesige Schadenersatzforderungen ausgelöst, und ein deutscher Beamter ist zumindest in Mannheim nicht in der Lage, Fehler einzuräumen. Also mussten sie versuchen, mich nach Kräften zu zerstören, damit ich mich auch später nicht wehren würde. Aber ich werde mich wehren, nicht nur meinetwegen, sondern auch wegen all der anderen Männer, denen Ähnliches passiert oder passieren könnte.

Warum haben Sie mitten im Prozess Ihren Anwalt Birkenstock durch den Verteidiger Johann Schwenn ersetzt?

Die Zeit unmittelbar vor dem Anwaltswechsel war mein seelischer Tiefpunkt im Verfahren. Ich merkte, dass etwas nicht gut läuft. Ich hatte den Eindruck, dass irgendwann Birkenstock einfach seine Arbeit mehr oder weniger einstellte. Ich hatte lange grosses Vertrauen in ihn, das aber während der ersten Prozesswochen nach und nach aufgebraucht wurde. Birkenstock fand kein Rezept gegen eine von Jagdeifer getriebene Staatsanwaltschaft und gegen ein Gericht, das jeden noch so irrationalen «Beweisantrag» der Staatsanwaltschaft guthiess und den Prozess immer mehr verschleppte. Er trat zu freundlich gegenüber dem Gericht auf. Er versuchte, eine harmonische Beziehung zu den Richtern aufzubauen, um sie zum Nachdenken und zu Objektivität zu bewegen. Er erreichte das Gegenteil. Das Gericht bekam das Gefühl, Birkenstock bitte um Gnade, es verstand nicht, warum ein ­Unschuldiger so defensiv verteidigt wurde. Daraus leiteten die Richter offenbar ab: Wir müssen nur weiter prozessieren und Zeugen aus seinem Leben laden, irgendwann haben wir Kachelmann sturmreif geschossen. Weil Birkenstock nicht konsequent kämpfte, dachte das Gericht vermutlich, dass es sich in einer rechtsfreien Zone befindet und alles mit mir machen kann.

Es gab dieses berühmte Gutachten der Psychologin Luise Greuel, das ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Beschuldigerin aufkommen liess. Dieses Gutachten kam doch zustande, als Birkenstock noch Ihr Anwalt war.

Ja, das stimmt, die Staatsanwaltschaft hatte es in Auftrag gegeben, nachdem Birkenstock seinerseits mehrere psychologische Sachverständige beauftragt hatte, die Aussagen der Nebenklägerin zu analysieren. Die Ergebnisse dieser Expertisen wiederum weckten Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Klägerin, was Staatsanwalt Oltrogge unter Druck setzte. Das Fazit des Greuel-Gutachtens war klar: Die Klägerin erzähle die angebliche Vergewaltigung, die nie stattfand, nicht «erlebnisfundiert». Ihre Aussage sei vor Gericht somit nicht belastbar. Spätestens da hätte die Staatsanwaltschaft mich aus dem Knast entlassen müssen. Birkenstock allerdings merkte nicht, dass die Gutachterin der Staatsanwaltschaft eine folgenschwere Hintertür geöffnet hatte. Greuel spekulierte nämlich auch unwissenschaftlich und über ihren Auftrag hinausgehend über die hypothetische Annahme, dass man durch ein Trauma Dinge vergessen könne. Diese hier abseitige Hypothese wurde allerdings durch den vom Gericht bestellten Gutachter Professor Kröber sowie Pro­fessor Köhnken vollständig widerlegt.

Genau dieses Greuel-Argument nahm die Staatsanwaltschaft auf mit kurioser Logik: Weil sich die Klägerin in Widersprüche verstricke, sei sie glaubwürdig. Überspitzt: Weil sie lügt, sagt sie die Wahrheit.

Das ist der grösste Schwachsinn, den die Staatsanwaltschaft auftischte, und so hatte es selbst Frau Professor Greuel nicht gesagt, wie sie selbst später vor Gericht erklärte. Die Mindestanforderungen an eine belastende Aussage seien nicht erfüllt, sagte die Gutachterin, denn die Aussagen der Klägerin seien so lückenhaft und inkonstant, dass die Grundvoraussetzungen für eine belastbare Aussage nicht gegeben seien. Somit würden sich ­alle weiteren Schritte zur Prüfung der Aussage mangels Basis erübrigen. Oder anders: Wenn kein Haus da ist, müssen wir übers Dach nicht reden.

Wie kamen Sie auf Ihren neuen Verteidiger, Johann Schwenn?

Wir haben «Strafverteidiger in Deutschland» gegoogelt, und wir kannten den Namen «Johann Schwenn» noch dunkel von den Birkenstocks, die sich in der Vergangenheit eher unfreundlich über diesen Herrn geäussert hatten. Aus optischen Gründen hatten wir bei Schwenn sofort ein gutes Gefühl, das sich später als richtig her­­ausstellte.

Aus optischen Gründen?

Ja, es klingt seltsam. Aber beim Anblick seines Bildes hatten wir den Eindruck, das ist der Richtige.

Schwenn sieht aus wie ein preussischer Junker, herrisch, arrogant. War Ihnen klar, dass Sie mit der Brechstange kämpfen mussten?

Schwenn ist alles andere als brachial. Er hat einfach die ungeheuerlichen Methoden und Handlungen der Staatsanwaltschaft mit Entschiedenheit juristisch gekontert. Endlich. Wir sahen tatsächlich nur das Bild, lasen den einen oder anderen Artikel über ihn und entschieden uns für eine Kontaktaufnahme. Die Journalisten erdichteten alle möglichen Verschwörungstheorien, aber eigentlich war es ganz einfach. Zum Jahreswechsel wollte ich mit Schwenn antreten, wenn er denn wollte und könnte.

In der Zeit stand, Sie hätten eine Mail eines gewissen Ralf Witte bekommen, der selber wegen einer falschen Vergewaltigungsanzeige fünfeinhalb Jahre im Gefängnis gesessen hatte, ehe ihn Verteidiger Schwenn freibekam.

Wir hatten Schwenn bereits ausgesucht, als durch Zufall und fast gleichzeitig diese Mail von einem Falschbeschuldigten eintraf, der fünfeinhalb Jahre unschuldig gesessen hatte. Und dieser Ralf Witte empfahl uns dringend Verteidiger Schwenn. Wie ich später erfuhr, hatte Wittes Frau ihn auf die Idee gebracht, uns zu schreiben.

Das war ja ein unglaublicher Zufall.

Im tiefreligiösen Oklahoma sagten Freunde: «God at work.» Das war auch unser erster Gedanke. Es war ein Zeichen von oben. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir zwar schon, dass wir ihn wollten, aber es hat uns den entscheidenden Ruck gegeben, sofort tätig zu werden und nicht bis zum Jahreswechsel zu warten. Im Nachhinein betrachtet, wäre das wohl zu spät gewesen. Somit sind wir Herrn Witte und seiner Frau äusserst dankbar. Am nächsten Tag riefen wir Schwenn an. Er versuchte zunächst, mich abzuwimmeln. Er ­habe zu wenig Zeit, ich solle meinen Anwalt behalten, der sei gut. Ich kämpfte mit mündlichen und schriftlichen Argumenten lange, bis ich ihn überzeugt hatte.

Sie zeichnen ein extremes Bild der deutschen Staatsanwälte und des Mannheimer Gerichts. Die Zeit schrieb, Sie würden Deutschland als «Bananenrepublik» darstellen. Deutschland ist ein Rechtsstaat. Sie übertreiben.

Ich rede nicht über alle deutschen Staatsanwälte, mangels eigener Erfahrung, aber auch aus anderen Bundesländern habe ich, wie man am Fall Witte ablesen kann, schon Ähnliches gehört und gelesen, aber ich schildere Ihnen meinen ehrlichen Eindruck von Mannheim: Die Leute, mit denen ich es dort zu tun hatte, stehen nicht auf dem Boden ­eines Rechtsstaats.

Wie belegen Sie Ihre Vorwürfe?

Staatsanwälte in Deutschland sind gesetzlich verpflichtet, anders als in Amerika, entlastende und belastende Indizien zu ermitteln und zu würdigen. Sie sind nicht Partei. In Deutschland gelten die Staatsanwälte als Richter vor dem Richter. Man vertraut einer gewissen Neutralität.

Und das war nicht so?

Nein. Wenn ein Staatsanwalt Grossmann in Deutschland wie in meinem Fall zu Beginn vor die Presse geht und behauptet: «Da sind DNA-Spuren von Kachelmann an der mutmasslichen Tatwaffe, und wir haben Blutspuren, die der Frau zugewiesen werden können», dann glaubt das die Bevölkerung, weil sie eben an eine neutrale Behörde glaubt, obschon hier der Erste Staatsanwalt Grossmann aus Mannheim in die Kamera log, wie man sich heute im Internet immer noch ansehen kann. Die Staatsanwaltschaft hat hier eine massive Vorverurteilung aktiv und bewusst betrieben.

Es gab keine DNA-Spuren von Ihnen am angeblichen Tatmesser?

Nein. Man warf mir vor, ich hätte der Frau während der Tat minutenlang ein Messer an den Hals gehalten. Der Spurentechniker des Landeskriminalamts erörterte vor Gericht: Wenn ein guter Spurengeber, wie ich es offenbar sei, einer Frau in einem angeblichen dynamischen Tatgeschehen, wie es Frau Dinkel schilderte, minutenlang ein Messer an den Hals gehalten hätte, dann hätte man Fingerabdrücke und vollständige DNA-Spuren erwartet. Die wenigen Fragmente, die möglicherweise dran waren, hätten nie als angeblicher DNA-Beweis in der Öffentlichkeit erwähnt werden dürfen, es war ein sogenannter Nullbefund. Ich war zwar als Verursacher nicht zu 100 Prozent auszuschliessen, eine Sekundärübertragung beispielsweise wäre möglich, also wenn eine Person erst ­eine andere Person anfasst und dann den ­Gegenstand, mehr aber auch nicht. Bei den punktuellen Blutspuren am Küchenmesser konnte nicht mal unterschieden werden, ob es sich um menschliches oder um Tierblut handelte.

Man hatte aus der Distanz den Eindruck, Sie müssten Ihre Unschuld beweisen und nicht die Staatsanwaltschaft Ihre Schuld.

Das war von Anfang an so. Man hat alles gegen mich ausgelegt. Weitere Beispiele dafür liefert noch heute immer wieder Staatsanwalt Oltrogge, indem er selbständig Interviews gibt, obwohl er nicht der zuständige Pressereferent der Staatsanwaltschaft Mannheim ist. In denen sagt er Dinge wie: «Auch dieser Gutachter konnte eine Falschbeschuldigung der Nebenklägerin nicht beweisen» – was eine klare Missachtung der Unschuldsvermutung ist und eine absichtliche Desinformation, denn in diesem Verfahren konnten Gutachter naturgemäss nur Aussagen über die Unschuld oder Schuld des Angeklagten treffen, nicht über die Schuld oder Unschuld der Nebenklägerin, denn sie stand ja nicht als Angeklagte vor Gericht. Dass Rechtsmediziner und Psychologen eine Falschbeschuldigung der Nebenklägerin wiederholt nahegelegt haben, unterschlug er. Sein letztes Statement zu meinem Interview in der Zeit zeigt auch deutlich, dass er jeden Beschuldigten unter absoluter Missachtung der Unschuldsvermutung, die durch das Grundgesetz in ­einem Rechtsstaat gesichert ist, prinzipiell als Verbrecher begreift und deswegen als «irrational». Der Erste Staatsanwalt Grossmann hat nach der Verkündung meines Freispruchs allerdings den Vogel abgeschossen, indem er zur Gesichtswahrung seiner Behörde sinngemäss behauptete, dass man zum Wohle des Rechtsstaates eben auch mal einen Verbrecher laufen lassen müsse. Diese Leute haben ihren Beruf verfehlt und den Eid auf die Verfassung und das Grundgesetz, den sie einmal geschworen haben, gebrochen. Dass der Anwalt der Nebenklägerin nun auch noch öffentlich lügt, indem er in Abrede stellt, dass er von seiner Mandantin nach dem Freispruch als «feige Sau» angebrüllt wurde, ist da fast schon ­eine Randnotiz.

Die Medien sprachen von einem «Krieg der Gutachter». Von einer Entlastung ­Kachelmanns könne keine Rede sein.

Es gab nie einen Krieg der Gutachter. Es gab im ganzen Prozess kein rechtsmedizinisches Gutachten, das bewiesen hätte, dass eine Vergewaltigung stattgefunden hätte. Das behauptete öffentlich zwar der Anwalt der Klägerin, aber auch das war ­eine glatte Lüge. Drei Rechtsmediziner, u. a. der hochrenommierte und international bekannte Professor Brinkmann, der von der Staatsanwaltschaft zu Prozessbeginn wie ein Schwerverbrecher durchsucht wurde, um ihn öffentlich zu demütigen, und der später vom Gericht als angeblich befangen abgelehnt wurde, sagten vor Gericht übereinstimmend aus, dass aufgrund ihrer Experimente und Untersuchungen eine Selbstverletzung der Nebenklägerin als sehr wahrscheinlich anzusehen sei und dass die Ergebnisse der Untersuchungen weitestgehend nicht mit der Schilderung der angeblichen Tat der Nebenklägerin übereinstimmten. Letzteres bestätigte auch der Rechtsmediziner der Staatsanwaltschaft, Professor Mattern, dem es sichtlich schwerfiel, der Staatsanwaltschaft zu widersprechen. Professor Rothschild erklärte, dass von zehn Selbstverletzungsmerkmalen sieben sicher erfüllt seien, die anderen wahrscheinlich. Das alles konnte man nur bei den wenigen Pressevertretern lesen, die objektiv berichteten. Die anderen wollten lieber an der Geschichte des prominenten Vergewaltigers festhalten – verkauft sich wohl besser.

Waren Sie überrascht, dass Sie von Ihrer Ex-Geliebten so hasserfüllt attackiert worden waren?

Ich habe ehrlich gesagt damit gerechnet, dass das Durcheinander in meinem Privatleben irgendwann an die Öffentlichkeit dringen könnte, wenn die eine Frau von der anderen Frau erfährt. Ich sah durchaus, dass ich in den Elendsprodukten von Friede Springer und Hubert Burda vorkommen könnte, da ich ahnte, dass ich von manch einer Geliebten eben nicht mal gemocht wurde und der Weg zum Hass ein kurzer sein würde. Ich rechnete mit der Schlagzeile: «Der Frosch ist ein Schwein». Wir wissen ja, in Medienkreisen ist Fremdgehen ja angeblich komplett unüblich, weshalb Schmierenschreiber wie Franz Josef Wagner von der Bild und andere sich ganz furchtbar wahnsinnig aufregen müssen über so was. Aber die Erfindung einer Straftat lag jenseits meiner Vorstellungskraft. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Sässen Sie heute im Gefängnis, wenn Sie sich keine teuren Gutachter und keine teuren Anwälte hätten leisten können?

Ich sehe nicht in die Hirne von Leuten, die mit krimineller Energie gegen mich vorgehen. Aber die Staatsanwaltschaft muss sich den Vorwurf der Freiheitsberaubung und der Strafvereitelung im Amt gefallen lassen. Sie hätte eigentlich schon längst gegen die Nebenklägerin Ermittlungen aufnehmen müssen. Die Staatsanwaltschaft hätte längst zugeben müssen, dass hier ein Lügengebilde gegen mich konstruiert worden war. Das alles geschah nicht. Warum? Ich weiss es nicht. Ich hatte eine gute Anwältin und einen guten Anwalt. Die Leute, die nur einen vielleicht demotivierten Pflichtverteidiger haben, kommen möglicherweise unter die Räder.

Haben Sie eine Erklärung, warum die Justiz derart einseitig gegen Sie vorging?

Ich bin nicht alleine. Es gab und gibt eine Unzahl von Fehlurteilen bei Sexualstraftaten. Hunderte sitzen mutmasslich unschuldig in deutschen Gefängnissen. Die Einseitigkeit ist eine Modeerscheinung, die durch mich nur breiter bekannt wurde.

Fairerweise muss man anmerken: Welcher Richter kann es sich leisten, eine Frau, die behauptet, vergewaltigt worden zu sein, als Lügnerin zu bezeichnen? Dieser Richter würde von Journalisten und Feministinnen umgehend zum Verbrecher erklärt.

Es ist in Deutschland der angeblichen Feministin Alice Schwarzer tatsächlich gelungen, einen fundamentalistischen Konsens herzustellen, auch und gerade in den Medien. Sie hat den Weg bereitet, der von einer frauenfeindlichen Justiz, die es vor dreissig Jahren unbestritten gab, zu ihrem Gegenteil führte. Früher hiess es bei Vergewaltigungen, die Frau hätte halt kein kurzes Röckli tragen sollen. Heute ist, genauso verbrecherisch, der umgekehrte Fall verbreitet. Der Mann ist dem Vergewaltigungsvorwurf fast hilflos ausgeliefert. Er wird von einer wachsenden Zahl von Frauen als Waffe benutzt. Es gibt Experten, die sagen, dass ein Drittel aller Vergewaltigungsanzeigen vorsätzlich zu Unrecht erhoben wird, andere Experten sagen, es sei sogar die Hälfte. Es funktioniert wunderbar.

Kritiker behaupten, Ihr Freispruch würde künftig Frauen davon abhalten, eine An­zeige zu erstatten. Man verweist auf die Klägerin, die durch die Hölle gegangen sei.

Das Gegenteil ist doch der Fall. Man kann ­einen Mann beschuldigen, ohne dafür bestraft zu werden. Sogenannte Opfervereinigungen wie der Weisse Ring übernehmen kritiklos alles, was gegen den Mann spricht. Sie sagen offen, dass sie gar nicht genau abklären wollen, ob eine Frau wirklich Opfer einer Vergewaltigung ist oder eine Vergewaltigung einfach nur erfunden hat, um ­einen Mann zu zerstören. Diesen Gruppierungen ist ein unschuldig verurteilter Mann lieber als der Rechtsstaat. Die Feministin Alice Schwarzer sagte sinngemäss, im Zweifelsfall müsse für das angebliche Opfer entschieden werden. Das ist ein öffentlicher Aufruf zur Abschaffung des Rechtsstaates, was natürlich kaum eine Zeitung kritisierte. Der Weisse Ring steht mit seiner Haltung ebenfalls nicht mehr auf dem Boden des Rechtsstaates. Er hat wider besseres Wissen eine Lügnerin unterstützt, daher ist es nicht sinnvoll, dem Weissen Ring noch Spenden zukommen zu lassen. Nebenklägerin Dinkel hatte immer ein Gefolge von rund vier Vasallen des Weissen Rings im Schlepptau, die sich mit Hingabe um die falschbeschuldigende Lügnerin bemühten. So wie diese angebliche Opferorganisation heute aufgebaut ist, schadet sie nicht nur unschuldigen Männern, weil sie grundsätzlich jeder Frau glaubt. Der Weis­se Ring schadet auch den echten Opfern.

Was sagen Sie zum lauwarmen Freispruch des Gerichts?

Ich habe das Urteil als Verurteilungsbegründung empfunden, bei der man am Anfang widerwillig den Zusatz «Freispruch» hinzufügen musste. Die Richter haben die Begründung vermutlich früher geschrieben, als sie noch glaubten, sie schafften es, mir diese Straftat anzuhängen. Schliesslich mussten sie erschöpft zugeben, dass sie es doch nicht schafften. So kam es wohl zu einem Freispruch, der mit einer Verurteilung begründet wurde. Dass Schwenn in der Urteilsbegründung so stark angegriffen wurde, zeigt, wie wichtig er war, indem er das Gericht gezwungen hat, sich auf den Boden des Rechtsstaats zurückzubewegen. Wenigstens, was das reine Urteil angeht.

Wer übernimmt die gewaltigen Kosten des Verfahrens und Ihrer Verteidigung?

Keine Ahnung. Ich habe rund eine Million Franken verloren rein an unmittelbaren Kosten, viel mehr an verlorenen Aufträgen. Den ganzen Aufwand, der nötig wurde, um meine Unschuld zu beweisen – was in einem Rechtsstaat nicht sein sollte –, werde ich wohl selber tragen müssen. Ich musste mir Geld leihen für meine Verteidigung, Schulden, die ich durch den Verkauf von Liegenschaften begleichen möchte.

Auf wen konzentrieren Sie jetzt Ihren ­Gegenangriff?

Ich muss mich nicht um viele Lügnerinnen kümmern, die meisten Zeuginnen haben wahrheitsgemäss ausgesagt: Es gab in meinem Leben keine Gewalt gegen andere Menschen, keine Grenzüberschreitungen, keine Grenzerkundungen, das sind Räubergeschichten blindwütiger Rächerinnen, die zum Teil dank Hubert Burda noch kräftig mitverdienten. Ich lass das nicht auf mir sitzen. Ich gehe gegen alle vor, gegen die Frau mit dem Hauptvorwurf, aber auch gegen die Trittbrettfahrerinnen. Wenn ich mich nicht wehre, wird das, was mir passiert ist, zum Muster für alle durchgeknallten Frauen dieser Welt, die Männern etwas anhängen wollen, aus welchen Gründen auch immer. Ich möchte eine Stiftung ins Leben rufen, die sich dafür engagiert, dass einerseits falsch beschuldigte Männer, aber auch wirkliche Vergewaltigungsopfer genügend Geld erhalten, um sich anständige Gutachter und Anwälte zu leisten. Das soll mein Beitrag zur besseren Wahrheitsfindung vor Gerichten sein. Professionalität hilft sowohl den Falschbeschuldigten als auch den wirklich vergewaltigten Frauen.

Sie gründen eine Stiftung? Glauben Sie, das nützt?

Man wird sehen. Mein Ziel ist, dass die wirklichen Vergewaltiger eingesperrt werden. Aber es sollen auch die Frauen ins Gefängnis, die zu Unrecht einen Mann beschuldigt haben. Es gibt heute nur komplett lächerliche Strafen für Frauen, die eine Vergewaltigung erfinden, um sich an einem Mann zu rächen. Meistens gibt es noch nicht einmal eine Strafe. Wenn sich herausstellt, dass die Anschuldigung haltlos ist, wird das Verfahren oft einfach nur eingestellt, und gegen die Frau wird nicht weiter ermittelt, obwohl Falschanschuldigung ein Offizialdelikt ist. Das sind dann oftmals die Fälle, die in den Statistiken als «ungeklärt» auftauchen und wo eine Frau Schwarzer dann sagt: «Da ist wieder ein Vergewaltiger davongekommen!» Es muss ein Gleichgewicht hergestellt werden zwischen dem, was einem falsch Beschuldigten passiert, und dem, was einer Falschbeschuldigerin passiert. In diesem Dilemma steckte auch das Landgericht und löste es mit dem miesesten Freispruch aller Zeiten. Und dies, obwohl die Beweisaufnahme Eindeutiges geliefert hatte, wie nicht nur meine Verteidigerin Andrea ­Combé in ihrem Plädoyer ausgeführt hat.

Sie haben sich wiederholt sehr kritisch über die Medien geäussert. Aber eigentlich haben die Medien doch gar keinen so schlechten Job gemacht. Spiegel und Zeit waren für Sie, Burda und Springer gaben den zornigen Frauen eine Plattform. Vielfalt war vorhanden.

Nein. Die einzigen Journalistinnen, die den Prozess kontinuierlich verfolgt haben, waren Frau Friedrichsen vom Spiegel und Frau Rückert von der Zeit. Bei allen anderen Journalisten hatte ich den Eindruck, dass Gerichtsreporter die Reporter sind, bei denen man in den Zeitungen froh ist, wenn sie nicht auf der Redaktion sind. Es wurde so viel Unsinn geschrieben. Auch das neue Buch des Tages-Anzeiger-Journalisten Thomas Knellwolf ist voll davon, soweit ich es nach ersten Lektüreerlebnissen beurteilen kann. Die Medien haben insgesamt versagt, weil sie die Lügen der Anklage ungeprüft aufschrieben und sich als unkritische und obrigkeitshörige Speichellecker einer durchgeknallten Staatsanwaltschaft verstanden. Die Inkompetenz war erdrückend. Schön, dass es zwei Frauen sind, die als Einzige selbst recherchiert haben. Sie waren nicht «für mich». Sie waren nur die einzigen Journalisten, die den Beruf ausfüllen, wie ich ihn vor 25 Jahren kennengelernt habe.

Der Schweizer Journalist Roger Schawinski sagte in einer Fernsehsendung, die Klägerin habe zwar tatsächlich die Unwahrheit gesagt, aber Kachelmann habe auch die Unwahrheit gesagt.

Habe ich in diesem ganzen Verfahren nicht. Schawinski ist einfach nur ein weiterer Knellwolf und Wichtigtuer. Er kennt mich nicht, er war und ist kein Freund, und es war sicher schön für ihn, auch mal wieder im deutschen Fernsehen zu sein. Das mit Sat 1 hat ja doch nicht so geklappt.

In der Schweizer Illustrierten schrieb Ex-Chefredaktor Peter Rothenbühler, der sich als Ihr Freund bezeichnet, eine Abrechnung, die Sie als Mann mit zwei Gesichtern schildert.

Das ist die neue Erkenntnis für mich: Jeder darf öffentlich völligen Blödsinn erzählen. Ein Peter Rothenbühler darf sich als Freund bezeichnen, obwohl ich ihn wohl über zehn Jahre nicht gesehen habe und auch früher höchst selten mit ihm zu tun hatte. Im letzten E-Mail-Kontakt aus dem Jahr 2007, in dem es um Wetterberichte für die Romandie ging, schleimte er mich als seinen «adjoint préféré» an und schrieb: «Was für eine gute Nachricht, Kachelmann will mich anrufen, wann tust Du’s endlich?» Irgendwas muss ihm seither zugestossen sein. Zu den gemeinsamen Zeiten bei der Schweizer Illus­trierten hat Rothenbühlers Gattin öfter in ­ihrem schönen französischen Akzent zu ihm gesagt: «Peter, du bist ein Arschloch.» Wir von der leitenden Redaktion wussten schon damals, dass wir keinen Grund hatten, einer intelligenten Frau zu widersprechen. SI-Chefredaktor Niethammer, der Rothenbühlers lügenbeladenes Fantasiegebilde ins Blatt hob, war zu meiner Zeit bei der Schweizer Illustrierten Redaktor, was er natürlich nicht ins Editorial schreibt. Faktentreue war nie seine Stärke. Heute schreibt er, ich hätte fünf Jahre erfolgreich mit Rothenbühler zusammengearbeitet, dabei war ich keine zwei Jahre bei diesem Blatt. Ein Ringier-Anwalt [zum Konzern Ringier gehört die Schweizer Illustrierte, Anm. d. Red.] hat versucht, sich in meiner Gefängniszeit als Verteidiger ins Verfahren zu drängen und mich aus meiner Firma zu werfen, «Söihäfeli, Söideckeli». Früher war Ringier eine anständige Adresse. Heute ist er wie Burda und Springer. Nicht hinsehen, nicht anfassen. Grusig.

Wie beurteilen Sie die Berichterstatter­rolle der Journalistin Alice Schwarzer?

Ich muss hier meinen Verteidiger Schwenn ­zitieren: «Sie kämpft verzweifelt dagegen an, in die Rubrik ‹Was macht eigentlich Alice Schwarzer?› zu kommen.» Sie ist eine böse alte Frau geworden, es passiert gelegentlich bei Menschen, dass sie im Alter böse oder noch böser werden. Ich habe Mitleid, andererseits ärgert es mich, dass sie den Frauen schadet. Wenn die selbsternannte Oberfeministin eine offenkundige Falschbeschuldigerin derart hochschreibt, und das merken die Leute, wird jede Frau, die wirklich vergewaltigt wurde, gegen unberechtigtes Misstrauen ankämpfen müssen. Schwarzer hat aus der Klägerin ­eine Ikone der Lüge gemacht und sich selbst zur Schutzheiligen einer Kriminellen erklärt. Schade um eine Frau, die früher mal Verdienste hatte.

Gehört es in so einem Prozess zur Strategie, die Medien auf seine Seite zu ziehen?

Man kann den Spiegel und die Zeit nicht beeinflussen. Aber es war sicher wichtig, eine Öffentlichkeit herzustellen, um die Bevölkerung gegenüber der haarsträubenden Arbeit des Gerichts zu sensibilisieren. Das Gericht wollte vieles unter dem Deckel halten, damit man mich leichter verurteilen konnte. Dank der aus meiner Sicht objektiven Berichterstattung von Spiegel und Zeit wurden Staatsanwaltschaft und Gericht etwas diszipliniert. Meine Anwälte versuchten, möglichst viel Öffentlichkeit herzustellen, um diesen Druck zu produzieren. Nicht vergessen: Deutsche Land­gerichte machen kein Wortprotokoll, dadurch wird das System für Missbrauch anfällig.

Sie haben der Zeit gesagt, Sie hätten rund 97 Prozent Ihrer Bekannten verloren. Ist der ganze Freundeskreis von Ihnen abgefallen?

Der überwiegende Teil. Man merkt plötzlich im Gefängnis, dass man nichts mehr von denen hört. Das ist das Kriterium. Aber es gab Hunderte Unterstützerbriefe von Unbekannten.

Wer hat zu Ihnen gehalten?

Ungefähr ein gutes Dutzend Leute.

Hat sich Ihr Menschenbild verändert durch den Prozess? Sind Sie verbittert?

Nein. Ich ahnte schon vorher weitgehend, wer mich meint oder eben das Geld oder den Promi. Jetzt weiss ich es sicher.

Was haben Sie über sich gelernt?

Ich habe für mich gelernt, dass es gut ist, ein sortiertes Leben zu haben.

Hand aufs Herz: Durch Ihre Mehrfachbeziehungen haben Sie das ganze Schlamassel provoziert. Man weiss doch, dass Frauen emotionaler und radikaler reagieren als Männer, wenn sie sich betrogen fühlen.

Quatsch. Es ist falsch, zu behaupten, dass ein Leben, wie ich es geführt habe, die automatische Voraussetzung für eine solche Falschbeschuldigung war. Die Tatsache, dass ich ein Geschleik mit vielen Frauen hatte, mag höchstens die Wahrscheinlichkeit etwas erhöht haben. Ich bin nicht stolz auf diese Mehrfachbeziehungen, aber es soll auch Frauen geben, die nicht immer treu waren. Die Falschanschuldigungen können jeden treffen. Es kann aus einem Ehekrach heraus, aus einem Sorgerechtsstreit heraus passieren. Du musst heute als Mann in jeder Sekunde ein Alibi haben, sonst kann dir das Gleiche widerfahren wie mir. Mein Fall verschärft die Gefahr noch. Wenn man selbst mit einer so katastrophal schlecht konstruierten Geschichte wie der von Frau Dinkel durchkommt, dann weiss man doch, wie gefährlich das für einen Mann werden kann. Ich hatte noch Glück, dass sie so schlecht log.

Man hat Sie in den Medien als pathologischen Womanizer geschildert. Es kommt einem die Friedhofszene aus dem Truffaut-Film «Der Mann, der die Frauen liebte» in den Sinn: über ein Dutzend Frauen am Grab des verstorbenen Liebhabers. Können Sie sich in solchen Szenen wiedererkennen?

Nein, das bin ich nicht. Ich bin kein pathologischer Womanizer. Es ist mir übrigens oft gelungen, erfolgreich nein zu sagen, aber es ist mir nicht häufig genug gelungen. Nochmals: Ich bin nicht stolz darauf und finde mich nicht toll deswegen, aber alles, was ich getan habe, ist keine Rechtfertigung für eine erfundene Straftat.

Wie haben Sie sich in den dunkelsten Stunden wieder aufgebaut?

Ich war vorher nicht ganz ungläubig. Ich bin gläubiger geworden in dieser Zeit. Der Pfarrer im Gefängnis war wichtig. Ich ging regelmässig am Sonntag in die Knastkirche. Das Beten half. Ich habe Freunde und eine Firma im Mittleren Westen in den USA, und ich ­habe gesehen, wie die Leute dort für mich gebetet haben und für die Gerechtigkeit. Es wurde auch in Schweizer Klöstern für mich gebetet. Das hat mir Halt gegeben. Freunde in Oklahoma schrieben mir: «Prayer works.» Daran glaube ich. Später halfen mir vor allem meine Frau Miriam, Frau Combé und Herr Schwenn, mir Hoffnung zu machen.

Warum haben Sie ausgerechnet während des Verfahrens geheiratet? War das Teil ­Ihrer Verteidigungsstrategie, wie einzelne Medien mutmassten?

Nein.

Wie sieht Ihre finanzielle Situation aus?

Es wird jeden Monat eng. Ich muss schauen, dass ich mit meinem Lohn meine Schulden abtragen kann. Es würde besser gehen, wenn ich meine Grundstücke loswürde. Ich muss mit allen Leuten, die mir Geld gepumpt haben, und mit den Steuerbehörden, die ich vertrösten musste, Einigungen finden. Ich habe einen riesigen Berg von Schulden.

Man konnte lesen, Ihre Meteo-Firma sei in Schwierigkeiten.

Nein, schon lange nicht mehr. Zwei Mit­eigentümer meiner Firma haben mit Hilfe der Medien und eines Ringier-Anwalts versucht, den Ruf von Meteomedia zu beschädigen und mich mit aller Macht aus der Firma zu drängen, zum Glück vergeblich. Alles läuft wieder, die Grüsel können nichts mehr ausrichten. Ich werde mich voll dafür einsetzen, um die Firma noch erfolgreicher mitzugestalten als bisher. Wir haben ein gutes Team.

Hat die ARD Ihre Verträge gekündigt?

Nein. Wir liefern Qualität, das zeigte auch eine bundesrätliche Untersuchung. Obschon Meteo Schweiz fünfzig Millionen Steuergelder kassiert, sind unsere Prognosen erwiesenermassen besser. Dieses kurze Hohelied des kleinen und mittelständischen Unternehmers will ich dem geneigten Ohr nicht ersparen.

Werden Sie ans Fernsehen zurückkehren?

Das ist mir nicht so wichtig. Meine Botschaften zu Falschanschuldigungen, zu der Mannheimer Justiz und der Polizei möchte ich loswerden, auch wenn es schwieriger werden wird, da mein Vertrauen in die Leistungskraft der meisten Medien bei null ist und meine Vorwürfe möglicherweise auch viel zu anstrengend sind für den durchschnittsdeutschen Medienmenschen, der auch findet, dass es furchtbar viele Verbrecher gibt und es denen im Knast noch viel zu gut geht und die auch noch andauernd freigelassen werden. Das sind die volksverhetzenden Parolen, die täglich durch die Bild-Zeitung verbreitet werden und mit der Realität nichts zu tun haben. Die meisten Blogs haben deutlich korrekter über die Prozesstage berichtet als die allermeisten Medien, und es geht nicht um die Bewertung, nur um die Fakten. Ich bin bei Radio Basel und Radio Primavera und arbeite wieder mit Volldampf für die Firma. Daran habe ich Freude. Die ARD sagte, dass nichts entschieden würde, bevor das Urteil nicht rechtskräftig sei. Das kann noch dauern, und wie gesagt, es wird ja noch das Buch «Mannheim» geben.

Die Nachfolge von Thomas Gottschalk ist kein Thema?

Ich habe mal eine Samstagabendsendung gemacht, die es nur dreimal gab, allerdings auch nicht so erfolglos war, wie jetzt überall geschrieben worden ist. Ich hatte schon früher eine leichte Verschrobenheit, auch was meinen Humor angeht, und ich glaube nicht, dass die für den Samstagabend geeignet ist. Mich drängt es jedenfalls nicht ins Fernsehen.

Was raten Sie Dominique Strauss-Kahn?

Wer bin ich, dass ich Strauss-Kahn etwas raten könnte? Ich weiss nicht, ob er das gemacht hat oder nicht. Die ganze Vorverurteilungsmaschinerie in den Medien hat mich natürlich sehr an meinen Fall erinnert. Vielleicht gibt es einen Ratschlag: Keine Situa­tionen mit fremden Frauen zulassen, in denen man keine Zeugen hat! Ab einem bestimmten Bekanntheitslevel ist man ein besonders attraktives Ziel für Falschbeschuldigerinnen.

Gibt es etwas spezifisch Deutsches an der Art, wie Sie verfolgt wurden?

Meine deutsche Verteidigerin hat mir gesagt, in der Schweiz erlebe man ähnliche Dinge – ich hoffe nicht. Ich war schon vorher ein guter Schweizer Patriot, habe schon eine 1.-August-­Rede hinter mir, und ich bin sicher ein noch grösserer Patriot geworden, aber vielleicht auch nur deshalb, weil ich noch nie ausser in diesem Fall mit der Schweizer Justiz in Berührung kam und die Schweizer Grenzwache mich nach Gerichtstagen immer freundlich heimgelassen hat. Immerhin äusserten die Schweizer Staatsanwälte Zweifel daran, dass das irgendetwas mit dem Fall zu tun ­habe, als die deutschen Staatsanwälte und Richter in Zürich aufmarschierten, um eine weitere angebliche Spur zu verfolgen. Da war beim Schweizer Staatsanwalt deutlich mehr Professionalität und Berufsethos vorhanden. Ich würde mir wünschen, dass es in der Schweiz ganz anders ist als in Deutschland. Ich werde nach Möglichkeit nicht mehr baden-württembergischen Boden betreten, obwohl ich dort gerne war, gerade im Südbadischen, wo man sich gerne an die Schweiz anschliessen würde, wie im Hotzenwald. Wer weiss, wo die Schwetzinger Polizisten und Mannheimer Staatsanwälte ihre Helfershelfer haben. Vielleicht noch diese eine Botschaft an weite Teile der deutschen Journaille mit ihrer Recherchekraft ­eines abgetauten Kühlschranks: Ich habe seit 1963 nicht mehr in Deutschland gelebt, ich flüchte also nicht ins Ausland, wenn ich nicht in Deutschland bin. Ich gehe heim.

Wie hat sich Ihr Leben verändert?

Ich schaue, wer links und rechts im Gebüsch sitzt. Verdächtige Autos fallen mir auf. Ich will die Paparazzi überlisten, wo es nur geht. Ich habe zwei wunderbare Verteidiger und Menschen kennengelernt, Herrn Schwenn und Frau Combé, die ich auch in Zukunft privat nicht missen möchte. Ich freue mich auf den Moment, in dem mein Freund freikommt, den ich dann bei mir anstellen ­werde, auf dass der Mannheimer Versuch, jegliche Resozialisierung von vornherein zu verunmöglichen, scheitern möge. Ich brauche jetzt bis zum Lebensende Menschen, die mich als Zeugen begleiten.

Im Ernst?

Sicher. Ich habe angekündigt: «Ihr lügenden Frauen: Ich werde euch zivil- und strafrechtlich für das belangen, was ihr mir angetan habt.» Was hindert die Frauen daran, mir nochmals eine erfundene Straftat anzuhängen? Diese Frauen gingen in ihrem Hass über Leichen. Warum sollte sich das ändern?

Welche positiven Erfahrungen haben Sie aus der ganzen Angelegenheit gezogen?

Ich habe heute ein aufgeräumtes Leben. Bescheidenheit ist wichtig, aber das war bei mir immer schon so. Ich war Werkstudent, hatte drei Jobs gleichzeitig, war Briefträger und Migros-Verkäufer. Es ist für mich kein Problem zurückzufahren. Heute fliege ich Economy, auch wenn Business cooler war für einen Mann von eins neunzig. Ich werde nie mehr den Frankfurter Flughafen betreten und nie mehr Lufthansa fliegen, obschon es nicht der Fehler der Lufthansa war, dass man der Polizei verraten musste, mit welchem Flieger ich unterwegs war. Und ja, ich weiss, dass die Swiss der Lufthansa gehört. Ich habe ja nix gegen die Lufthansa. Ich will nur mit einer Ausnahme die Dinge nicht mehr sehen, die ich komplett arglos als Letztes vor der Verhaftung gesehen habe. Und als bleibende Freude: Miriam. Zwei Anwälte, die für einen Unschuldigen kämpfen wie um ihr Leben. Alte Freunde, von denen man erst in der Not gelernt hat, wie gut und wichtig sie sind. Meine starke Mutter. Neue Freunde, sogar einen aus dem Gefängnis. Leute mit Zivilcourage, die nicht einfach umfallen im Sturm: der Zürcher Anwalt, der in der Firma hilft und ein anständiger Mensch ist. Der Bürgermeister aus Steinigtwolmsdorf, der den Jörg-Kachelmann-Weg trotz aller Me­dien-Vorverurteilung nicht umbenannt hat. Und auch die CVP schickt immer noch Einzahlungsscheine, falls man das in der Weltwoche sagen darf.

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