Mittwoch, 1. April 2009

Ein Moment der Klarheit

Es gibt Momemte im Leben, in denen auf einmal unzählige Fragen eine Antwort erhalten. In denen sich der Schleier der Konvulsion lüftet und das Bild klar und makellos vor unseren Augen erscheint. In denen all jene unbequemen Hindernisse sich vor einem auflösen und der Geist zügellos und ohne Behinderung die Komplexität eines Konzeptes durchdringt und meistert.

Diese Momente der Klarheit inspirieren uns und sind ein Ansporn zu völlig neuen Taten und Gedanken, die vorher nicht erschliessbar waren.

Kleine Dinge mit grösster Bedeutung

Genau so einen Moment der Klarheit hatte ich neulich, als ich von der Entdeckung der RNA-Interferenz hörte.

Dabei handelt es sich um einen erst kürzlich entdeckten Mechanismus in den Zellen höherer Lebewesen (Eukaryoten), welche ein zusätzliches "Ein- und Ausschalten" von Genen ermöglicht. Doch warum sollte dieses eine molekularbiologische "Ding" einen faszinierenden Moment der Klarheit erzeugen?!

Wer werden bald sehen, dass dieses "Ding" uns nicht nur eine Zukunft der Medizin in Form von Medikamenten gegen bisher unheilbare Krankheiten wie Krebs oder Aids und Gentherapien eröffnet, sondern gar eine Waffe gegen Viren sein könnte, die ähnliche Vernichtungskraft aufweist wie Antibiotika gegen Bakterien. Dies wiederum ermöglicht weitere bahnbrechende Anwendungen, welche in den nächsten Dekaden erheblich an Bedeutung gewinnen werden.

Es lohnt sich also, sich diesen Sachverhalt etwas genauer anzuschauen.

Die molekulare Maschinerie des Lebens

Wir alle wissen, dass unsere Zellen das Erbgut (auch Genom genannt, besteht aus DNA) enthalten, welche sich aus unzähligen Genen zusammensetzt. Die Gene enthalten dabei die Information, welche über eine komplexe Maschinerie in Proteine "übersetzt" wird. Diese Proteine übernehmen unzählige wichtige Aufgaben in unserem Körper. Sei dies der Transport von Sauerstoff innerhalb der roten Blutkörperchen oder die Immunabwehr.

Als Vermittler zwischen den Genen und den Proteinen dient die sogenannte Messenger RNA (mRNA), welche die "Bauanleitung" in eine für die Proteinmaschinerie verständliche Form enthält und im Zellkern durch RNA Polymerasen gebildet wird.

Die Zellen der Eukaryoten verfügen einerseits über einen Zellkern, welche das Erbgut enthalten und andererseits das Zellplasma (der ganze Rest der Zelle), in dem sich die Proteinmaschinerie in Form der Ribosomen ("Proteinfabriken") befindet. Diese übersetzen genetische Information in Form von mRNA ("Bauanleitungen") in Proteine.

Es ist diese Übertragung von Information von den Genen über die mRNA hin zu den Proteinen, welche das Leben auf molekularer Ebene und somit schlussendlich auch den ganzen Körper entscheidend prägt. Denn es ist der zentrale Mechanismus, mit dem alle lebenswichtigen Funktionen reguliert und unsere genetische Eigenheit ausgedrückt wird.


Viren

Viren befinden sich auf der Grenze zwischen dem Lebendigen und der toten Materie. Sie enthalten keine Proteinmaschinerie, welche es ihnen erlauben würde, sich selber zu unterhalten, sondern lediglich ihr Genom. Sie überleben, indem sie ihr Genom in das Erbgut der Wirtszellen einfügen, so dass diese Zelle dann neue Viren mit der zelleigenen Proteinmaschinerie herstellt.

Es ist somit ein akutes Problem, wenn Viren ihr Genom in die Zelle implantiert haben und diese Virengene nun anfangen, neue Virenbausteine herstellen zu lassen, welche dann zu neuen Viren zusammengestetzt werden. Ohne Unterdrückung würde sich die Krankheit über den ganzen Organismus ausbreiten und ihn vernichten.

Bisher kannte man nur eine einzige wirksame Waffe gegen virale Infektion: die Selbstzerstörung der befallenen Zelle (auch Apoptose genannt).

Die klassische Grippe wird von Viren hervorgerufen. Auch AIDS ist die Folge eines Virus. Unzählige verschiedene Virenarten befallen nicht nur Menschen, so dass zum Beispiel auch in der Landwirtschaft jährlich massive Ernteausfälle durch Pflanzenviren entstehen.

Es gibt bisher keine Medikamente, welche direkt gegen Viren wirken (wie Antibiotika gegen Bakterien). Bisher wird Virenbefall indirekt über fiebersenkende oder bakterienabtötende Mittel (so dass keine zusätzlichen Krankheiten dazu kommen können) behandelt. Gegen einige wenige Arten konnten Impfstoffe entwickelt werden.

Die RNA-Interferenz

Manche Zellen besitzen nun einen speziellen Kontrollmechanismus, welche es ihnen erlaubt "unerwünschte" Gene daran zu hindern, ihre Information über mRNA an die Proteinfabriken, den Ribosomen, zu schicken, so dass potenziell gefährliche Proteine nicht hergestellt werden.

Sobald die Proteine des RNA-Interferenz-Systems die Verarbeitung von fremder mRNA (zum Beispiel durch eingeführte Virengene erzeugt) entdecken, wird diese mRNA nicht nur in kleinste Stücke zerhackt, sondern auch analysiert und die für die Fremd-RNA verantwortlichen Gene identifiziert und zum Schweigen gebracht.

Wir haben es hier also mit einem weiteren Abwehrmechanismus (neben dem Suizid der Zelle) gegen Viren zu tun. Das besondere an dieser Methode ist jedoch, dass das sogenannte "Silencing-Signal", mit dem die RNA-Interferenz gefährliche Gene deaktiviert, zwischen verschiedenen Zellen ausgetauscht werden kann! Dies geht so weit, dass schlussendlich der komplette Organismus gegen das Virus immun wird.

Auswirkungen und Bedeutung

Das Verständnis einer solchen Abwehr in den Zellen ermöglicht es der Medizin, völlig neue Behandlungsmethoden gegen bisher schwierig zu heilende Krankheiten zu entwickeln. Die Fähigkeit, nur ein bestimmtes Gen auszuschalten, erlaubt die Entwicklung von Medikamenten, welche die Wachstumsgene in Krebszellen ausschalten oder die Gene der kritischen Komponente von AIDS-Viren (die sogenannte Reverse Transkriptase) blockieren.

Auch die Aussicht auf das Stilllegen von für bestimmte Erbkrankheiten verantwortliche Gene befähigt die Wissenschaftler dazu, spezifische Gentherapien zu entwerfen, welche gezielt die kritischen Gene und somit das Krankheitsbild hemmen. Der Höhepunkt wäre wohl die Entwicklung von Stoffen, welche spezifisch nur gegen virale DNA wirken und somit ein dringend benötigtes Pendant zu den antibakteriell wirkenden Antibiotika wären.

Aber auch im Design von gentechnisch veränderten Organismen ermöglich die RNA-Interferenz den Einsatz von Nutzfpflanzen, die eine erheblich gesteigerte Widerstandskraft gegen Viren haben. Dies würde die Sicherung der ausreichenden Ernährung der rasch wachsenden Erdbevölkerung erheblich helfen, denn die heutzutage noch gravierenden Verluste durch den Befall von Pflanzenviren könnten bald der Vergangenheit angehören.

Und nicht zuletzt beschleunigt diese neue Entdeckung massiv die Erforschung der Funktionen der einzelnen Gene im menschlichen Körper. Denn bisher wusste man zwar, welche Gene sich wo im menschlichen Genom befinden (siehe Human Genome Project), doch konnte bisher nur wenigen Genen wirklich eine Funktion zuordnen. Kommt noch dazu, dass viele Gene gemeinsam miteinander wechselwirken und so eine nur extrem schwierig zu erforschende Komplexität entsteht. Doch mit der gezielten Ausnutzung der RNA-Interferenz wird dies in Zukunft kein Hindernis mehr sein.

Und dies wird wiederum zu neuen medizinischen Durchbrüchen führen, welche wir bisher noch nicht einmal erahnen können! Geschweige denn von den gewaltigen Möglichkeiten, die uns ein vollständig verstandenes menschliches Genom bieten.

Doch wie jede neue wissenschaftliche Entdeckung wird auch die RNA Interference ihre Zeit brauchen, bis es sich auf breiter Front in Form neuer Medikamente und Behandlungen wird durchsetzen können. Denn noch steht man erst am Anfang.

Ein Moment der Klarheit

Ihr könnt nun verstehen, warum mich diese RNA-Interferenz so fasziniert hat, dass ich für einen Moment lang mit klarem Blick das Bild sehen konnte. Jenes Bild, welches die Zusammenhänge vom molekularen Geschehen bis hinauf zu der Zukunft unserer Gesellschaft vereinigt und den heissen Atem des Fortschritts festhält.

Einen ähnlichen Impakt auf meinen Geist hatten bisher nur wenige Erkenntnisse.

Doch zu ihnen gehören viele, die ich auf der Homepage von Michail Savvakis gesammelt habe, als ich zum ersten Mal maskulistische Texte las. Es fühlte sich damals an, als könnte ich das erste mal nach einer langen Zeit des drohenden Erstickens wieder frei atmen.

Ich hatte von da an das Gefühl, nicht mehr alleine mit meinen Unstimmigkeiten im Bezug auf die Gleichstellung und dem Feminismus zu sein. Und es war auch ein Moment der Klarheit, in dem all jene Übel, welche ich vorher nie zu fassen vermochte, endlich beim Namen nennen und verstehen konnte.

Als ob mir jemand das heiss herbeigesehnte Bild der Wahrheit hinter dem lügenden Vorhang offenbarte.

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