Donnerstag, 6. November 2008

Eine Anekdote aus dem "Patriarchat"

Als ich "Das Patriarchat - Wahrheit oder Mythos?" schrieb, erinnerte ich mich halbdunkel an einen Fetzen mittelalterlicher Geschichte, deren Inhalt ziemlich deutlich zeigt, wie machtvoll manche Frauen schon damals waren und wie sehr Männer darunter zu leiden hatten. Eine Konstellation, die jede feministische Theorie über die Frau als ewiges Opfer und den Mann als ewigen Täter in ihre Einzelteile zusammenbrechen lässt.

Die nun folgende Erzählung habe ich aus Geschichte der Kreuzzüge [1] extrahiert und soll euch exemplarisch zeigen, wie schon damals das Leben und das Schicksal eines Mannes auf Gedeih und Verderb von (s)einer Frau abhängen konnte.

Wir befinden uns im tiefsten Mittelalter, ganz am Anfang eines neuen Zeitalters des kulturellen Austausches aber auch der ersten schweren Glaubenskriege zwischen dem Christentum und dem Islam. Es ist das Jahr 1095 nach Christus in dem Papst Urban II. zum ersten Kreuzzug aufrief um das heilige Land von den muslimischen Besatzern zu befreien. Hundertausende von Menschen folgten daraufhin seinem Ruf und liessen ihr bisheriges Leben hinter sich, um sich auf die beschwerliche Reise in das ferne Outremer zu machen. Zahllose gewöhnliche Bauern mit ihren Familien aber auch Adelige mit ihren Heeren schlossen sich diesem immer mächtiger werdenden Menschenstrom an.

Sie liessen eine Welt voller Elend, Armut und Hunger zurück und waren mehr als nur bereit, die grauenhaften Lebensbedingungen im damaligen Europa zu verlassen, um im heiligen Land eine neue Existenz aufzubauen. Nicht wenige zweit- und drittgeborene adelige Söhne träumten von ihrem eigenen Fürstentum oder dem schnellen Aufstieg an die Macht, denn nach dem damaligen Erbrecht gingen sie fast immer leer aus.

Unter ihnen befand sich auch der Graf Stephan von Blois, der sich dem Kreuzzug nur sehr widerwillig angeschlossen hatte. Er hegte keinen Wunsch sich ihm anzuschliessen [2], doch er hatte Wilhelms des Eroberes Tochter Adele geheiratet und sie traff im Haushalt die Entscheidungen. Und ihre Entscheidung war es, dass ihr Graf Stephan von Blois sich dem Kreuzzug anschliessen soll. Nicht dass die verwöhnte Frau ihn begleiten würde, wie es so manch andere Adelsfrau tat. Denn Stephan beliess seine Länder in der Verwaltung seiner Gemahlin Adele [2].

Damit die Ausgangslage klar ist: Die Frau zwingt den Mann sich einer Reise anzuschliessen, die ihn über 4000 Kilometer (!) zu Fuss und zu Pferd und nur beim Bosporus mit dem Schiff in ein kaum bekanntes, andersgläubiges Gebiet voller Gefahren führen würde. Auf einem Weg, gespickt mit unzähligen Wegelagerern, Banditen und Habenichtsen, der kaum befestigt und nur zu gewissen Jahreszeiten mehr schlecht als recht passierbar ist. Um dort schliesslich eine der zur damaligen Zeit am schwersten befestigten Stadt namens Jerusalem zu belagern und von den Moslems zurück zu erobern.

Im Jahre 1097 erreichten die Kreuzfahrerheere Antiochia (in der heutigen Türkei, damals Syrien), eine damals sehr bedeutende Stadt am Meereseck zwischen der Türkei und dem heutigen Israel. Dort sollten einige der schwersten und entbehrungsreichsten Gefechte des ersten Kreuzzuges stattfinden, welche die Moral aller Beteiligten massiv herabsetzte und viele in die Fahnenflucht trieb. Schon bis hierher hatte der Kreuzzug mehr als die Hälfte seiner Mannstärke verloren und es blieb ihm nur noch ein Kern fanatischer, hartgesottener und kriegserfahrener Männer. Auch Stephan von Blois befand sich noch unter ihnen.

Doch die entsetzlichen Entbehrungen und die Erwartung eines scheinbar sicheren Gemetzels unter den Truppen der Christen durch den Feind brachen seine Zuversicht, so dass er sich entschloss, sich dem sicheren Untergang zu entziehen und nach Hause zurück zu kehren [3].

Doch die Kunde seiner "Feigheit" verbreitete sich schnell durch ganz Europa, so dass seine Gattin Adele ihn zornbebend zu Hause erwartete und in tiefer Scham nicht eher ruhte, bis sie ihn soweit drangsaliert hatte, dass er die ganzen weiten Weg erneut unter die Füsse nahm [4]!

Ihr müsst euch das mal vorstellen! Ihr habt nahezu Jerusalem erreicht und so dermassen viele Greuel und Elend gesehen, dass ihr euch vor dem sicheren Tod versucht abzusetzen und es gelingt euch tatsächlich, nach Hause zu kommen. Doch statt dankbar und froh zu sein, dass ihr noch am Leben seid, ist eure Frau so wütend, dass sie euch umgehend erneut zurück in die Hölle des Krieges schickt! Denn schliesslich habe die Familie einen Ruf zu verlieren! Die Frau sitzt einfach zu Hause wie die Made im Speck und befiehlt ihren Mann, sich erneut in Lebensgefahr zu begeben!

Gebrochen und unwillig, sich dem geballten Ärger einer gesamten Adelssippe auszusetzen, machte sich Stephan von Blois verzweifelt erneut auf den Weg in Richtung des heiligen Landes [5]. Geplagt von düsteren Ahnungen von seinem eigenen Tod.

Nachdem Jerusalem in verlustreichen Kämpfen und durch ein blutiges Gemetzel im Jahre 1099 nach Christus erobert wurde, hatte Stephan von Blois das heilige Land erreicht und schloss sich dort den Truppen des jungen Königtums von Jerusalem an. Doch in der Schlacht von Ramleh würden sich seine Vorahnungen erfüllen und er starb bei einem Ausbruch aus einer von den Ägyptern belagerten Festung [6].

Sein ruhmreicher Tod stellte seinen zuvor ramponierten Ruf wiederher und die Gräfin Adele konnte fortan ruhig schlafen, wohlwissend, dass die Familienschande nun endlich aus der Welt geschafft war [6].

Stephan starb, weil eine Frau ihn zurück und somit in den Tod trieb um ein immaterielles Gut, nämlich den Ruf ihrer Familie, nicht zu beschädigen. Das Leben eines Mannes war dabei weniger wichtig als jenes Gut.

Wer kann da noch behaupten, dass Frauen damals keine Macht gehabt hätten?


[1] Geschichte der Kreuzzüge von Steven Runciman, 5. Auflage 2006 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co.
[2] Geschichte der Kreuzzüge S. 159
[3] Geschichte der Kreuzzüge S. 221
[4] Geschichte der Kreuzzüge S. 229
[5] Geschichte der Kreuzzüge S. 334
[6] Geschichte der Kreuzzüge S. 388

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